Besuch bei einer Hundertjährigen


Hundert Jahre hat sie schon auf dem Buckel, doch sie präsentiert sich quicklebendig und strahlt eine geradezu jugendliche Frische aus: die Stuttgarter Markthalle. Zum ersten Termin in diesem neuen Jahr trafen sich die Segos am 13. Januar zur Besichtigung dieses denkmalgeschützten Gebäudes in der Landeshauptstadt. Das Jugendstilgemäuer hinter der Stiftskirche hatte großes Interesse geweckt,  immerhin kamen mehr als 50 Segos zu diesem Termin, den Horst Person und Dieter Werne gut vorbereitet hatten.

 

In zwei Gruppen näherten sich die Besucher dem historischen Gemäuer zunächst einmal von außen. Die beiden Führerinnen, offensichtlich geradezu verliebt in die Markthalle, machten auf die vier unterschiedlichen Gesichter der Hundertjährigen aufmerksam. Der Architekt Martin Elsässer, der mit gerade mal 26 Jahren den großen Wettbewerb vor 76 Mitbewerbern gewann, nahm die Ausschreibung genau: Das Gebäude sollte sich der historischen Umgebung unter Verwendung modernster Konstruktionen und Materialien anpassen. So entstand auf der Seite des Dorotheenplatzes eine schlichte Fassade, dem Marktplatz und dem Rathaus zugewandt. Die Hinterhofseite verzichtet gar auf jedes spielerische jugendstilgemäße Element, wird der angrenzende Hof doch als Ladehof genutzt. Zur Dorotheenstraße hin dagegen zeigt sich die Halle mit einer dreigeschossigen fürstlichen Seite als Pendant zum Schloss. Zur Stadtseite in der Münzstraße schließlich erscheint sie mit Türmen und der festen Trutzmauer geradezu selbstbewusst. So spiegelten die Markthallenfassaden das jeweilige Gegenüber. Leider trifft das heute nicht mehr auf alle Seiten zu, denn viele der  gegenüber liegenden Gebäude fielen den Bomben des Zweiten Weltkrieges zum Opfer.

 

Im Innern zeigt heute noch der ,,kühne Entwurf zwischen Lagerspeicher und Warenhaus´´ des Architekten seine Wirkung. Die Eisenbeton-Hallenkonstruktion gehörte zu den fortschrittlichsten Bauten seiner Zeit. Und dass Martin Elsässer mit dieser Idee überzeugen konnte, das wurmte seinen Mentor und Lehrer Paul Bonatz gewaltig. Der hatte immerhin den Stuttgarter Hauptbahnhof bauen dürfen.

Viele Anekdoten hatten die Markthallen-Führerinnen parat. Vom letzten württembergischen König, Wilhelm II., der mit seinen beiden legendären Spitzerhunden im Marktstüble einkehrte (und für sein Leben gerne Schützenwurst mit Kartoffelsalat verspeiste) bis zum Tatort-Kommissar Bienzle, der an der historischen Stätte einen Mord aufzuklären hatte. Ein Feeling für Krimis kam bei den Besuchern doch tatsächlich in den weitläufigen Kellergeschossen auf. Nicht wenige erinnerten sich aber auch an ihre Kindheit, denn in städtischen Mehrgeschosshäusern sahen die Keller mit den Holzlatten-Verschlägen ganz ähnlich aus, wenn auch natürlich in kleinerem Maßstab.

  

Dem Rundgang durch die Marktstände mit den Spezialitäten aus aller Herren Länder schloss sich ein Besuch auf der Empore bei Merz und Benzing mit all den Raritäten für Garten und Heim an. Schließlich gab es noch einen Erfrischungstrunk aus dem wieder aufgebauten Ceres-Brunnen, dem dann der kräftigere Schluck Bier in Carls Brauhaus am Schlossplatz folgte. Dort wurden die neu errungenen Erfahrungen mit der Hundertjährigen bei Maultäschle und Kässpätzle gut verdaut.



(Beitrag von Inge Mierke)